Flexibler Autoritarismus in Russland
Schwenck, Anna 2024: Flexible Authoritarianism: Cultivating Ambition and Loyalty in
Russia. Oxford University Press.
Besprochen von Alexander Libman, Freie Universität Berlin, E-Mail: alexander.libman@fu-berlin.de
https://doi.org/10.1515/fjsb-2024-2016
Forschungslücke und Untersuchungsgegenstand
Die letzten zwei Jahrzehnte wurden zu einer Blütezeit der sozialwissenschaftlichen
Autoritarismusforschung. Grund für diese Entwicklung war einerseits die deutlich
bessere Zugänglichkeit der Daten aus einigen wichtigen autoritären Staaten (insbesondere
Russland und China, die bis vor kurzem hervorragende Möglichkeiten
für Feld- und Archivforschung und für Umfrageforschung angeboten haben) und
andererseits die Entwicklung von neuen theoretischen Konzepten für die Beschreibung
der „modernen“ autoritären Regime – etwa des „informationellen“ Autoritarismus,
der anstelle Repressionen und direkter Propaganda geschickte Informationsmanipulation
verwendet, oder des „elektoralen“ Autoritarismus, der sich
hinter einer demokratischen Fassade versteckt.
Das Konzept des „flexiblen Autoritarismus“ von Anna Schwenck ist ebenso ein
Versuch, moderne autoritäre Regime zu beschreiben, die, anders als stereotypische
Autokratien, auf Massenrepressionen und direkte Propaganda verzichten. Stattdessen
nehmen sie die gesellschaftlichen Einrichtungen, die man gewöhnlicherweise mit
demokratischen freien Gesellschaften verbindet, und transformieren sie in eine
Stütze ihrer Stabilität. Sie legen ihren Fokus auf Unternehmer*innentum, Individualismus
und Selbstverwirklichung. Anstelle ihre Kontrolle durch Terror oder
Ideologie sicherzustellen, locken sie mit „Ästhetik, Versprechen und Techniken des
Coolen Start-Up Kapitalismus“ (189, eigene Übersetzung). Ihre Unterstützer*innen
erkennen durchaus die Probleme der Gesellschaften, in denen sie leben, wollen
aber diese Probleme als Unternehmer*innen, Manager*innen oder Aktivist*innen
in sozialen Projekten und nicht als Regimekritiker*innen angehen, und sind sicher,
dass sie auf diese Weise deutlich mehr erreichen können und das in ihrem Land alle
Möglichkeiten dafür gegeben sind. Das größte Problem für sie ist nicht das Regime,
sondern eigene Passivität.